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…und lass die Toten ihre Toten begraben (Sci-Fi Roman) 03

4.
Floyd Carlson räusperte sich, um seine Stimme nicht zu heiser klingen zu lassen.

>>Ihr wisst alle was Sache ist. Ich werde es dennoch einmal kurz zusammenfassen. Anschließend bitte ich um Vorschläge. Also…wir haben zwei Nährmitteltanks, ausgelegt für je 15 Jahre. Davon ist Tank 1 leer. Sollte jemand von euch hoffen das Zeug wäre nur durch ein dämliches Leck ausgelaufen, so muss ich ihn leider bitter enttäuschen. Wir sind tatsächlich seit vierzehn Jahren und rund zehn Monaten unterwegs. In diesem Moment wird die Ganymed gedreht. Der Hauptantrieb wird in ca. 10 Minuten neu gestartet und das Bremsmanöver eingeleitet. Unsere derzeitige Geschwindigkeit beträgt knapp 98% C<<

Er schwieg einen Moment betroffen. Denis Hopkins sah ihn aufmunternd an, zuversichtlich, als würde er von ihm erwarten, er könne die Lösung ihres Problems wie ein Zauberer aus dem Hut fischen. Teko hatte zwar inzwischen die Augen geöffnet, wirkte aber genauso gelangweilt wie zuvor. Woher nahm dieser Bursche bloß diese Nerven? Währenddessen war Peter noch blasser geworden, soweit dies überhaupt möglich war.

>>Durch den Masseverlust des Schiffes wächst unsere Bremsverzögerung beziehungsweise unsere Beschleunigung auf dem Rückflug. Wir werden demnach in knapp dreizehn Jahren zum Stillstand kommen. Danach können wir uns erst auf den Heimweg machen – dieser verläuft analog in Etappen von zehneinhalb und sieben Jahren. Das sind nach Adam Riese dreissigeinhalb Jahre, die sich durch den Abwurf von Ballast – ich denke da an den leeren ersten Tank, diese Sessel hier und ähnliches – die sich vielleicht auf dreissig Jahre reduzieren lassen. Dreissig Jahre Flugzeit…<< Foyd räusperte sich abermals, >>Wir stehen also vor dem Problem, in fünfzehn Jahren alle zu verhungern, oder aber…<<

Er stockte, konnte nicht weitersprechen, so dass Teko Redbear den Satz für ihn vollendete, >>oder aber zwei von uns melden sich freiwillig? Richtig<<

Es war still an Bord der Ganymed. Floyd und Teko starrten sich ausdrucklos an. Dr. Hopkins öffnete und schloss den Mund – öffnete, schloss…öffnete. Wie ein Karpfen, dachte Floyd. Peter, der Navigator, murmelte leise vor sich hin, sie hörten es nicht, sahen es nur an den Lippen, den nervösen Händen, deren Finger einander kneteten, sich schließlich fanden, Ruhe fanden im Gebet: >>…selig ist der und heilig, der teil hat an der ersten Auferstehung. Über solche hat der Tod keine Macht; sondern sie werden mit Ihm Priester Gottes und Christi sein, und mit IHM regieren tausend Jahre…<< Er brach ab. Die Mienen seiner Kameraden spiegelten alle vertretenen Anschauungen der spätchristlichen Gesellschaft. Denis hielt den Kopf gesenkt und hatte ebenfalls die Hände gefaltet. Floyd war ratlos, wusste nicht, sollte er darüber nachdenken, sich darüber hinwegsetzen; er hatte das unbestimmte Gefühl, dass die Worte ihn in seiner Entscheidungskraft lähmten. Teko legte die Füsse wieder auf sein angestammtes Instrumenten-Panel und sagte, >>Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute…<<

Peter schrak auf, die dunklen Augen glommen zornig,  >>Halt die Klappe, Teko! Was weisst du schon…?<<

>>Ruhig, Jungs.<< Es war Floyd der das sagte.

Er konnte jetzt keinen Streit zwischen den Männern gebrauchen. Und doch war er Teko dankbar, dass er mit seiner respektlosen Art den Schleier zerrissen hatte, der sich wie ein lähmendes Gift über ihn zu legen drohte. Ob er das sogar beabsichtigt hatte? Floyd konnte es nicht sagen. Und wieder mal wurde ihm bewusst wie fremd ihm der Halbindianer im Grunde doch geblieben war, wie wenig er von den anderen eigentlich wusste.

>>98% der Lichtgeschwindigkeit bei fünfzehn Jahren Eigenzeit,<< fuhr er fort. >>Damit unterliegen wir voll der relativistischen Zeitdilatation…das macht…?<< er wandte sich an Peter, doch dieser zuckte nur die Achseln.

>>Ich bin genauso schlau wie du, Floyd. Ich kann nicht genau sagen wie lange wir jetzt unterwegs sind. Ich habe den Öffnungswinkel des Ultraviolettkegels, den die Sterne in Flugrichtung bilden, vermessen und bin so rechnerisch auf die vierzehn dreiviertel Jahre Flugzeit gekommen, aber durch die meßtechnisch bedingte Ungenauigkeit ergibt sich eine Zeit von etwa fünfzehn Tagen.<< Er zuckte die Achseln abermals. >>Naja, so genau wolltet ihr es wahrscheinlich eh nicht wissen. Sollte die Ganymed tatsächlich den Weg zurück zur Erde finden, so werden dort in etwa dreitausend Jahre Erdzeit vergangen sein…schon JETZT…<< und hier schwieg er, einen Augenblick lang überwältigt von der eigenen Vorstellung, >>schon jetzt sind wir für unsere Leute zu Hause so etwas wie Relikte aus dem frühen Mittelalter, so etwas wie Karl der Große, eine Notiz in Geschichtsbüchern.<<

Seine drei Kameraden antworteten gleichzeitig, was zur Folge hatte, dass kein Wort zu verstehen war. Schließlich klopfte Floyd mit dem Knauf seines Schraubenziehers auf die Instrumentenplatte, um sich Gehör zu verschaffen.

>>Meine Herren…meine HERREN! Ich bitte Sie, wir sind hier nicht beim Baseball!<<

Jäh schwiegen alle und mit einem Mal fühlte er sich alt, müde und ausgelaugt. Drei Augenpaare waren auf ihn gerichtet und erwarteten, dass er sie nach Hause brachte. Er, der Kommandant, wusste, das es nicht möglich war.

>>Hat jemand eine Idee wie wir aus dieser Misere wieder rauskommen?<<

Ausgerechnet Dr. Hopkins, der Philologe hob die Hand und überrascht gestand sich Floyd ein, dass er von Hopkins am wenigsten erwartet hatte. Eigentlich hatte er den Mann bisher überhaupt nicht wahrgenommen. Aber der Hoffnung blieb keine Zeit geboren zu werden. Die Idee, die Kühltemperatur der Kälteschlafkammern noch weiter herabzusenken, auf vielleicht ein oder zwei Grad, um so den Nährlösungsbedarf zu senken, hätte unvorhersehbare Folgen. Das Gehirn, schon bei 7 Grad im absoluten Sparmodus, würde unter diesen Umständen die Versorgung der periphären Gliedmaßen und Gewebezonen einstellen.

>>Das wäre eine Möglichkeit,<< begann Floyd >>aber wir müssen uns darüber klar sein, dass außer unseren Köpfen und einigen verkümmerten Organen nicht viel mehr von uns auf der Erde eintreffen würde. Wir wären für den Rest unseres Lebens auf eine Herzlungenmaschiene und künstliche Ernährung angewiesen. Für mich keine schöne Vorstellung. Zweitens liegt in diesem Falle die Gefahr überhaupt nicht wieder aus dem Kälteschlaf zu erwachen bei rechnerisch 55%. Also wäre auch in diesem Fall damit zu rechnen, dass mindestens zwei von uns nicht wieder zu Hause ankommen…Und drittens – wir wissen gar nicht, ob…<< er brach ab, ging wieder einige Male auf und ab und verfluchte den wenigen Platz den er zum herumtigern hatte. Er räusperte sich abermals. Lange hatte er überlegt, ob er den Männern seinen Fund mitteilen sollte. Aber sie waren alle mündige und gestandene Männer – sie hatten ein Recht darauf es zu erfahren. >>Was mir noch aufgefallen ist,<< es war schwer es auszusprechen >>die Atomuhr ist nicht von allein ausgefallen. Da hat einer dran herumgepfuscht.<<

Die Linien in seinem Gesicht wurden plötzlich schärfer und seine Kollegen bemerkten übereinstimmend, dass er plötzlich zehn Jahre älter aussah.

>>Alle Stromkreise in der Uhr sind dreifach redundant ausgelegt. Mechanische Teile, die ausfallen könnten, gibt es bei diesem Modell nicht.<<

Er schwieg abermals und sah wie sich das Entsetzen in den Gesichtern seiner Crew breit machte und anschließend in blanke Wut verwandelte. Ihn selbst hatte die Entdeckung, dass nicht etwa ein normaler Ausfall eines Bauteils, sondern dass Sabotage, hinterhältige und gemeine Sabotage, ihr derzeitiges Dilemma verursacht hatte, zunächst in kochende Wut versetzt. Wut die dann mehr oder weniger in Verzweiflung hinüberglittt. Eine Verzweiflung die im Halse würgte und die Glieder schlaff werden ließ. Eine Verzweiflung die irgendwo im hintersten Eck seines Denkens den Wunsch schürte einfach Schluss zu machen, den Reaktor hochzufahren und das ganze Schiff zu sprengen. Doch er raffte sich auf.

>>Im Umsetzer ist ein Tyristor ausgefallen. Beide Ersatztyristoren wurden vor dem Start ausgelötet. Der eine verbliebene musste dann schlussendlich ausfallen, da ihn jemand mit irgendeiner Chemikalie präpariert hatte – durch die Verfärbung würde ich mal auf Säure tippen.<<

Sie alle dachten das Gleiche. Die Nachricht, dass eine Raumsonde, oder was auch immer es sein mochte, dass ein Produkt einer nichtmenschlichen Intelligenz durch den Raum trieb, hatte ungeheure Aufregung auf der Erde verursacht. Eine große Anzahl von Staaten, vor allem der Nahe Osten und China, hatten vehement gegen das Ganymed-Projekt protestiert. Auch bildete sich eine breite, sich durch alle Nationen ziehende Bewegung, die eine Kontaktaufnahme strikt ablehnte. Die Motivationen der einzelnen Gruppen hätten unterschiedlicher nicht sein können – sie reichten von wirtschaftlichen Erwägungen über die Furcht, die Aliens könnten kriegerisch sein, bis hin zum orthodoxen Sektiererglauben, der das Wohl abendländischer und Christlicher Lehre bedroht sah. Die Anhänger dieser Bewegungen kamen aus allen Bevölkerungsschichten. Es war ohne weiteres denkbar, dass ein Angehöriger der NASA, der Zugang zum Schiff hatte… Floyd ballte die Fäuste zusammen. Es war zum Verrücktwerden. Dr. Denis Hopkins machte sich währenddessen seine eigenen Gedanken um mit der ganzen Sache umzugehen, >>Gib dir keine Mühe, Floyd. Wir sind doch schon längst alle tot. Du hast doch gehört was Peter gesagt hat. Plus minus fünfzehn Tage Messfehler. Dreißig Tage bei Lichtgeschwindigkeit. Wir finden doch gar nicht mehr zurück. Wo sind wir denn jetzt überhaupt? Ist das noch unsere Milchstraße? Zu Hause schreiben die jetzt schon das Jahr 3000. Was wohl aus meinem Bruder George geworden sein mag? Ein seltsamer Gedanke. George war zehn Jahre jünger als ich. Jetzt ist er schon seit Jahrhunderten tot und begraben. Ob es wohl Nachkommen unserer Familie gibt? Ob man sich wohl noch unterhalten könnte? Was ist aus unserer schönen englischen Sprache geworden. Ha! Das ist doch beinahe ein schlechter Witz – da habe ich mein Leben lang alte und ausgestorbene Sprachen studiert und jetzt spreche ich selbst eine womöglich tote Sprache. Wer mögen die Beiden wohl sein, die immerhin noch eine Chance haben wieder Heim zu kommen? Eine wirklich scheußliche Aufgabe die du da hast, Floyd Carlson. Ob ich mich freiwillig melde? Ich bin immerhin schon fünfundfünfzig und der älteste von uns. Wieso eigentlich fünfundfünfzig Wie alt bin ich denn wirklich? Wenn jetzt schon dreitausend Jahre vergangen sind…ich bin ein Fossil…ein lebendes Fossil. Aber seit unserem Start sind erst knapp fünfzehn Jahre vergangen…also bin ich doch erst siebzig.
Relativität der Zeit…ohja….in mehr als einer Hinsicht. Tja, aber welche Rolle spielt das alles schon wie alt ich bin. Wie alt werde ich wohl noch? Das ist doch die Frage die hier zählt. Soll ich mich wirklich freiwillig melden? Ich wüsste schon ganz gerne was aus der guten, alten Erde geworden ist. Ob sich Briten und Amerikaner noch verstehen? Das war ja schon zu meiner Zeit teilweise schwierig. Gibt es überhaupt noch Briten und Amerikaner?<<

5.

>>Seht mal,<< es war Teko Redbear der sich jetzt einmischte. >>Wir haben für zehn Tage Sauerstoff an Bord, aber meiner Meinung nach sollte das kein Problem sein.<<

Die Männer starrten ihn verständnislos an. Offenbar wussten sie nicht worauf er hinaus wollte.

>>Wir sind in der Lage die verbrauchte Luft wieder aufzubereiten, der Wasserdampf wird kondensiert und das CO2 elektrisch aufgespalten. Die Sauerstoffversorgung ist somit doch keine Frage des Gasvorrates, sondern abhängig von der vorhandenen Energie.<<

Er hatte sich jetzt erhoben und hielt die Arme vor der Brust verschränkt.

>>Und davon haben wir doch wohl mehr als genug, oder?<<

Das dunkle Gesicht wurde eventuell noch ausdruckloser, als er nun weiter sprach.

>>Der Nährmittelkreislauf stellt doch ein geschlossenes System dar, in dem wir brennbare, lösliche Stoffe als Nahrung aufnehmen, verbrennen und als Oxide wieder an die Maschine zurückgeben. Was wäre, wenn es uns gelingen würde diese, genauso wie die Atemluft, wieder zu regenerieren, so dass wir sie immer und immer wieder verwenden können. Dann wäre unser Problem doch gelöst. Wir haben doch quasi unbegrenzt elektrischen Strom zur Verfügung.<<

Die Gesichter der Männer spiegelten Hoffnung und Ratlosigkeit.

>>Und wie willst du das anstellen, du Genie?<< schnappte Peter. >>Du weisst doch, dass es eben kein Energieproblem ist, sondern eine Frage der biologischen Steuerung. Mein Gott, der Stoffwechsel verbrennt doch nicht nur Fette oder Kohlenhydrate – genau so wichtig sind Vitamine und Spurenelemente, von denen einige erst durch verschiedene Prozesse im Körper erzeugt werden. Hat einer von euch eine Ahnung wie schwierig es ist auch nur EIN Vitamin zu synthetisieren…in einem ausgestattetem LABOR?>>
>>Aber wir können es doch versuchen…;<< schaltete sich Peter ein. Das ist verschwendete Zeit, dachte Floyd, dem wieder die Aufgabe zu viel die aufkeimende Hoffnung zu zerschlagen und er hasste sich dafür, >>Die beiden Tanks hatten ein Bruttogewicht von siebzehn Tonnen. Das ist fast ein fünftel des Einbaugewichts der Ganymed. Wenn deine Idee realisierbar wäre, dann hätte man es von vornherein so gemacht. Dann wäre das ganze Schiff leichter geworden und hätte die Welt einige hundert Millionen Dollar Steuergelder gespart. Wäre es möglich, hätte man es gemacht, da könnt ihr euch sicher sein.<<

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Diese kleine Novelle habe ich als Teenie in den 90ern begonnen und im Laufe der Jahre immer wieder aufgegriffen. Meine Wortwahl war damals teilweise noch etwas unglücklich, aber das sind Dinge die ich einfach überarbeite während ich die Kapitel poste…und schon an dieser Stelle freue ich mich auf dem Punkt an dem ich tatsächlich die Geschichte kreativ weiterführe und dann hoffentlich zu einem würdigen Abschluss bringen kann.

Stay tuned, kommentiert und teilt gerne 😀

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