GenderIdentity (1)

Meine Transition – ein Wegbericht (Feb 16)

*Überarbeitet 01/17

Hallo ihr Lieben,
Zuweilen macht das Internet ja sogar so etwas Ähnliches wie Sinn. Wer sich in sozialen Netzwerken aufhält, kommt früher oder später nicht drum herum, auch mal jemanden kennen zulernen und ins Gespräch zu kommen. So ist es mir geschehen, da ich mich ja nun aus gegebenem Anlass schon seit langer Zeit in einschlägigen Foren und Gruppen herumtreibe.
So war auch ich selbst noch vor zwei, drei Jahren völlig neu in der Materie und stand vor einer völlig fremden Welt. Ich war mit mir und den möglichen Konsequenzen völlig überfordert. Deshalb habe ich mir  an allen möglichen Ecken des Internets Rat und Erfahrung geholt, um zu begreifen, was bei mir anders läuft, als bei anderen Jungs in meinem Alter.
Nun diese Zeiten sind allmählich vorüber. Es fängt an der Alltag wieder einzukehren und die einschlägigen Gruppen werden meist nur noch besucht, um liebgewonnene Kontakte zu pflegen, denn der Informationssuche. Man könnte sagen, ich fange an so langsam anzukommen.
Ich beginne die Dinge gelassener zu sehen. Der Spiegel mag zwar immer noch gelegentlich hämisch zu mir hinüber grinsen, aber ich bin nicht mehr tagelang emotional down deswegen. Aber ich schweife ab.
Über das Crossdresser-Forum, sowie vor allem durch Facebook , habe ich viele liebe Menschen kennengelernt. Einige davon habe ich inzwischen sogar live, real und in Farbe kennenlernen dürfen.
Die „Transsexuellen-Szene“ ist wirklich ein bunter Haufen – Anspielung gewollt. Von völlig extrovertierter Schrilligkeit bis zum verklemmten Mauerblümchen ist mir schon so ziemlich alles untergekommen. Vor allem bei den älteren Semestern (damit meine ich ein spätes Coming-out) bemerke ich immer wieder wie zwanghaft die Pubertät als Mädchen nachgeholt werden muss ^^
Kein Haar mehr auf dem Kopf, aber Hauptsache ich trage nur noch einen breiten Gürtel und Unterwäsche in Signalfarbe – Hulk Hogan im Fummel lässt grüßen. Auch Fußballerbeine im Feinstrumpf sind kein seltener Anblick gewesen…
Und DAS ist der nächste Punkt, der mir oft auffällt und ich kann mich da leider auch nicht ganz von freisprechen – Vorurteile und Gruppenbildung innerhalb unserer eigenen Randgruppe! Jeder soll doch tun und lassen was ihm/ihr guttut (so lange niemand verletzt wird).
Aber es gibt da draußen einen Haufen „Hardcoretransen“ die einem vorschreiben wollen was, wann und wie man die Transition zu führen hat. Sollte man diese oder jene OP nicht wollen, dann wäre man ja keine echte „Trans“, dann gäbe es ja gar keinen Leidensdruck….furchtbar. Da sind einige bei, die haben den Schuss nicht gehört und wissen selber mit dem Wort Toleranz genauso wenig anzufangen wie unsere Freunde von der AFD, von denen sich diese Personen ja so weit wie möglich distanzieren wollen.
Aber das Leben ist bunt…und das ist gut so.
Worauf will ich also hinaus? Ich bin auf meinem Wege jetzt schon relativ weit fortgeschritten und sehe mich inzwischen in der Position auch anderen Mädels mit Rat und Tat zur Seite stehen zu können, so wie man mir einst zur Seite stand. Genau aus dieser Situation heraus hat sich ein ganz lieber Besuch ergeben, den ich am letzten Donnerstag bei mir in Neumünster begrüßen durfte. (Was für eine Einleitung um auf den Punkt zu kommen).

Netter Besuch aus der fast Nachbarschaft

Wie anfangs geschrieben, kann sich Facebook durchaus lohnen, um Kontakte zu knüpfen und neue Leute kennen zulernen – so kam es dann auch, dass ich bereits seit längerer Zeit mit der Mutter einer transsexuellen Tochter (MzF) in Kontakt stand und sich dann durch meinen Umzug nach Neumünster einfach mal die Möglichkeit für ein Treffen geboten hatte.
Was sich für alle Beteiligten wohl als Balsam für die Seele herausgestellt hat, den aus einem kleinen unverbindlichen Treffen wurde ein Schnack-Marathon von fast 7 Stunden Länge. Das muss so ein bisschen das Therapeuten-Prinzip sein, dass es zuweilen einfach gut tut sich und seinen Kummer einem quasi wildfremden Menschen anzuvertrauen – aber die Chemie stimmte einfach und die Worte sprudelten nur so.
Es tut gut sich verstanden zu fühlen und über gemeinsame Erfahrungen zu reden.
Und für andere einfach da zu sein – aber zuhören konnte ich auch schon immer gut.
Obwohl…ich denke vor einem Jahr noch wäre mir das Treffen nicht so gut bekommen. Das war eine Zeit als ich mich ja aus allem rausgezogen hab und auch SHGs gemieden hab, da ich mit meinen eigenen Problemen genug am Hals habe. Aber das hat sich geändert. Ich kann jetzt für andere Menschen da sein, ohne gleich zu zerbrechen. 
Ich denke die Aufarbeitung, die ich hier im Blog betreibe, ist im Endeffekt gar nicht so schlecht für mich und mein Seelenheil.

Das alte „Was-wäre-wenn-Spiel“

Aber andererseits muss ich zugeben, dass einiges in mir ins Brodeln geraten ist. Gedanken wurden angeregt und verschüttete Erinnerungen aufgerissen.In sieben Stunden hat man eine Menge zu bereden und nicht alles davon löst positive Gedanken und Gefühle aus. Doch im Gegensatz zu letztem Jahr (Anmerkung: 2015) kann ich diese Gefühle zulassen und mich objektiv…objektiver damit auseinandersetzen.
Ich sage immer, ich wünschte ich wäre schon als Teenager so weit gewesen, dass ich gewusst hätte was mit mir los ist – das ich transident bin. Das stimmt natürlich insofern als das ich natürlich der elenden Pubertät hätte ein Schnippchen schlagen können…aber um welchen Preis?
Wenn man sich mit jemandem unterhält, der gerade mal an die zwanzig ist und den „Weg“ bestreitet, so kommen unweigerlich Neidgefühle hoch. So Junge TS haben noch ihr ganzes Leben vor sich und können sein was immer sie wollen…

Es ist einfach sich in dieser gedanklichen Schiene zu verfangen…
Doch was ein so junger Mensch auf sich nimmt ist nämlich auch alles andere als ein Zuckerschlecken! Wenn ich an meine Jugend und Schulzeit zurückdenke, da wäre ein Coming-out völlig undenkbar gewesen. Ich war so oder so schon immer das „Klassenopfer“, da wäre es als „Transe“ erst Recht um mich geschehen. So bin ich ja relativ glimpflich mit Schulbrotdiebstahl durch die Unterstufe gekommen…nicht auszudenken was mir sonst passiert wäre…
Selbstverständlich sind diese Gedanken irgendwo müßig, schließlich ist seit meiner Schulzeit viel Wasser unter der Brücke längs geflossen, aber trotzdem hat unser Gespräch da etwas in mir berührt.
Der Schulalltag ist so schon für viele Schüler der Horror – Lehrer die desinteressiert sind, Mitschüler mit bildungsfernem Hintergrund (oder die einfach von Natur aus Arschlöcher sind“ und der ganze psychosoziale Morast durch den man gehen muss und dann AUCH noch transsexuell zu sein?
Aus meinem Neid wird mehr und mehr Bewunderung, denn was die Spät-Transen durchmachen, oder ich sage mal viele, ist einfach durch die gegebene Lebenserfahrung und vorhandenen sozialen Background viel eher zu „ertragen“, als das was ein Teenie alles wuppen muss.
Natürlich haben wir Erwachsenen es auch nicht einfach und stehen für viele am Rande der Gesellschaft, aber wer sich mit 30-40-50 Jahren für die Transition entscheidet hat schon eine in irgendeiner Form gefestigte Persönlichkeit. Ich erlaube mir jetzt einfach mal, das als selber Betroffene so ketzerisch in den Raum zu stellen.
Mir wurde einfach mal wieder vor Augen geführt, dass nicht nur ich Probleme habe, sondern dass wir alle unser Päckchen zu tragen haben und sich niemand in eine Schablone pressen lässt.

Aber ja, ich bin mal wieder ins Grübeln geraten…wie wäre mein Leben verlaufen WENN? Was wäre gewesen, wenn mich im Kindesalter jemand als das erkannt hätte, was ich eigentlich bin? Wenn ich nicht emotional unterdrückt worden wäre?
An dieser Stelle noch einmal meine Hochachtung vor der besagten Mutter – die sich wirklich ins Zeug legt, um ihrer Tochter gerecht zu werden…die einen Beitrag für Eltern von Transkindern leisten will.
Ja…wo wäre ich heute?
Es ist schön sich auszumalen wie das Leben hätte aussehen können, wenn der Zufall bei der Chromosomenverteilung anders entschieden hätte oder wenn mein persönliches Umfeld mir eine andere Möglichkeit der persönlichen/emotionalen Entwicklung geboten hätte.
Was hätte ich für den Besuch einer Abschlussfeier gegeben, oder mir mit meiner Mama zusammen die Haare zu frisieren…eben all die Dinge zu tun, die man als Teeniemädel so lernt…

Wenn ich zurückblicke, muss ich sagen, dass in meinem bisherigen Leben auch nicht alles schlecht war. Durch meine Erlebnisse bin ich der Mensch geworden, der ich heute bin. Das waren Höhen, das waren Tiefen…und nicht alles davon möchte ich missen oder ungeschehen machen. Einige Dinge bedauere ich, andere sind wunderschöne Erinnerungen.
Und jetzt die vielleicht ketzerischte Aussage im ganzen Text: Durch mein Leben, meine Erfahrungen bin ich nicht nur Mann oder Frau – ich kenne jetzt beide Seiten der Medaille. Ich muss mich nicht verbiegen um einer Seite komplett zu entsprechen. Ich muss nur MICH wohlfühlen und so leben, dass es MIR gut geht. Und das ist im Körper einer Frau.
Da ändert auch meine Vorliebe für Computer, teure Lautsprecher und Science Fiction nichts dran…jetzt darf ich allerdings auch noch unbescholten meinen anderen Vorlieben fröhnen für die ich einst bös verhauen worden wäre.

Ich danke euch für eure Zeit beim Lesen dieses Textes. Lasst mir gerne ein paar Worte und Gedanken zu dem Thema in den Kommentaren da. Bis bald!

Eure Mila

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Ellen Herbes

    vielen herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Beitrag. Das was wäre wenn Spiel, ich glaub das kennt fast jede von uns, die erst spät den Schritt nach „Draußen“ gegangen ist. Und Du triffst es mal wieder auf den Punkt. Es wäre einfach für mich nicht möglich gewesen (und selbst heute ist es bestimmt noch immer nicht leicht für die betroffenenen Schüler) – Das Mobbing hat schon so gereicht für den Rest meines Lebens – Dann sich noch hinzustellen und festzuhalten man ist Trans wäre einem Todestoß gleich gekommen. Außerdem gehe ich davon aus, dass man mich damals dann eher in die Kla…Meh

  2. Ellen Herbes

    vielen herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Beitrag. Das was wäre wenn Spiel, ich glaub das kennt fast jede von uns, die erst spät den Schritt nach „Draußen“ gegangen ist. Und Du triffst es mal wieder auf den Punkt. Es wäre einfach für mich nicht möglich gewesen (und selbst heute ist es bestimmt noch immer nicht leicht für die betroffenenen Schüler) – Das Mobbing hat schon so gereicht für den Rest meines Lebens – Dann sich noch hinzustellen und festzuhalten man ist Trans wäre einem Todestoß gleich gekommen. Außerdem gehe ich davon aus, dass man mich damals dann eher in die Kla…Meh

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